Hört man die Namen „Bosnien“ und „Herzegowina“, denkt man an vieles: an die osmanische Geschichte, das Attentat auf den österreichischen Thronfolger oder den Bürgerkrieg nach dem Zerfall Jugoslawiens. Was einem dabei jedoch kaum in den Sinn kommt, ist der Protestantismus.

Tatsächlich muss man heute gezielt danach suchen, um Spuren des Protestantismus in Bosnien-Herzegowina zu entdecken. Und doch wird man auf drei Ebenen fündig: Die Geschichte liefert einige Hinweise, es gibt einzelne erhaltene Bauten – und schließlich existiert heute noch eine kleine lutherische Gemeinde in der Stadt Bijeljina, mit der man Gottesdienst feiern kann. Auf diese Spurensuche begab sich für die GEKE Dr. Stefan Cosoroaba, begleitet vom siebenbürgischen Pfarrer Zoran Kezdi, der im Auftrag von ZETO mitreiste.

Die Geschichte

Die dokumentierte protestantische Geschichte Bosnien-Herzegowinas beginnt im Jahr 1878, als das Land unter die Verwaltung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gestellt wurde. In der Folgezeit wanderten zahlreiche Menschen neu ins Land ein, unter ihnen viele Deutsche – die Mehrheit von ihnen lutherischen Glaubens. Im Jahr 1910 bekannten sich 22.968 Personen zur deutschen Muttersprache. Doch nicht nur Deutsche ließen sich in Bosnien nieder: Auch Ungarn, Slowaken und Kroaten kamen ins Land – unter ihnen sowohl Lutheraner als auch Reformierte. Besonders bemerkenswert ist, dass vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs rund 10 % der Bevölkerung Sarajevos Deutsch als Umgangssprache nutzte. Es existierten deutsche Schulen, Zeitungen und sogar ein Theater. In dieser Zeit entstanden evangelische Kirchen in Banja Luka, Rudolfstal (heute Alexandrovac), Schutzberg (Podgradci), Franz-Josefsfeld (Petrovopolje), Sarajevo und Zavidovići. Für diese Gemeinden konnten auch Pfarrer angestellt werden. Es entstand die Struktur der „Bosnischen Synode“

Doch dann brachen die bekannten historischen Stürme über das Land herein: der Erste Weltkrieg, die Eingliederung in einen neuen Staat, der Zweite Weltkrieg, Umsiedlung, Flucht, Internierung, die kommunistische Diktatur – und schließlich der jugoslawische Bürgerkrieg. Nach all diesen Umbrüchen organisierten sich die evangelischen Gemeinden immer wieder neu. Noch im Jahr 1981 bestanden evangelisch-lutherische Gemeinden in Sarajevo, Banja Luka, Zavidovići und Bijeljina. 1997 verstarb Zlatan Sofo, der langjährige Hausmeister des Gemeindezentrums in Sarajevo – und zugleich der letzte, der dort evangelische Gottesdienste gehalten hatte.

Die Gebäude

Zeichen des Protestantismus in Bosnien-Herzegowina sind heute vor allem einige ehemalige evangelische Kirchen, die bis heute erhalten geblieben sind. Das eindrucksvollste Bauwerk ist die evangelische Kirche in Sarajevo, die 1899 am Ufer der Miljacka errichtet wurde. Noch 1954 wurde sie mit Unterstützung des Lutherischen Weltbundes renoviert, doch 1979 ging das Gebäude in den Besitz der Stadt über. Heute dient es als Kunstakademie Sarajevos. In Banja Luka wurde die dortige evangelische Kirche, erbaut 1898, im Jahr 1945 zerstört. Das Pfarr- und Bethaus hingegen blieb erhalten und wurde sorgfältig restauriert. Es beherbergt heute das Institut für Wirtschaft und Entwicklung der Stadt. Die Kirche in Petrovopolje, 1910 erbaut, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Lagerraum zweckentfremdet und schließlich aufgegeben. Heute setzt sich eine Initiativgruppe dafür ein, das inzwischen unter Denkmalschutz stehende Gebäude zu retten und es künftig für kulturelle und gemeinschaftliche Zwecke zu nutzen. Ein konkreter Umsetzungsplan liegt bislang jedoch noch nicht vor.

Die Gegenwart

Lebendige Begegnung mit dem Protestantismus ist heute nur in der kleinen lutherischen Gemeinde in Bijeljina möglich. Diese gehört als Tochtergemeinde zur Pfarrei Šid in Serbien und ist Teil der Slowakisch-Evangelischen Kirche A.B. in Serbien. Rund 80 Gemeindeglieder zählen dazu – sie stehen in der slowakischen Tradition, auch wenn heute fast ausschließlich Serbisch gesprochen wird. Die meisten Mitglieder leben in ethnischen und konfessionellen Mischehen und sind bereits älteren Jahrgangs. Die jüngere Generation wurde zumeist bereits in der orthodoxen Kirche getauft. Die Pfarrei Šid, zu der Bijeljina gehört, ist derzeit unbesetzt. Daher finden Gottesdienste lediglich drei Mal im Jahr statt – zu Weihnachten, Ostern und zum Kirchweihfest. Die administrative Betreuung erfolgt von Stara Pazova (Serbien) aus durch Igor Feldi, den Senior für Syrmien, der auch für Bijeljina zuständig ist. Die Gottesdienste und Amtshandlungen wie Beerdigungen werden jedoch von Pfarrerin Svetlana Vojnici Feldi übernommen – der Ehefrau des Seniors, die eigentlich Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kroatien ist. Für jeden Einsatz legt sie mehr als 200 Kilometer zurück – ein grenzüberschreitender Dienst im wörtlichen Sinne.

Eine besondere Leistung dieser kleinen Gemeinde ist der Bau ihrer eigenen Kirche – ermöglicht unter der Leitung von Kirchenvorsteher Daniel Steffek. Dank gebührt dafür dem slowakischen Diplomaten Miroslav Lajčák, der von 2007 bis 2009 als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina tätig war. Er unterstützte die Gemeinde finanziell und ebnete entscheidende Wege. Auf dem Balkan gilt der Bau einer Kirche als ein gutes Werk – und so beteiligten sich zahlreiche Einzelpersonen und Unternehmen an dem Vorhaben, auch wenn sie selbst orthodoxem oder muslimischem Glauben angehörten.

Die Zukunft

Dem Wort Gottes ist Ewigkeit verheißen – deshalb darf man gewiss sein, dass auch in Bosnien-Herzegowina weiterhin evangelisch gepredigt werden wird. Überall im Land entstehen freie evangelische Gemeinden, neue kirchliche Pflanzungen werden gewagt. Beispiele hierfür sind die „Evanđeoska crkva Sarajevo“ (ecsarajevo.org) und die internationale Gemeinde „New City Sarajevo“ (newcitysarajevo.com). Ob und inwieweit sich diese Gemeinden jedoch in die Leuenberg-Tradition einordnen können – oder dies überhaupt anstreben würden – bleibt offen. Gerade deshalb sollte der Blick bei der Frage nach der Zukunft protestantischen Lebens in Bosnien-Herzegowina auf die kleine lutherische Gemeinde in Bijeljina gerichtet bleiben.

Die GEKE hat auf ihrer Vollversammlung 2012 in Basel beschlossen, sich verstärkt mit einer Theologie der Diaspora auseinanderzusetzen. Ziel ist es, wie es im Fokus-Heft Nr. 30 heißt, „einen produktiven und kreativen Umgang mit den Herausforderungen auch als werdende Minderheitenkirche“ zu ermöglichen. Das Heft trägt den Titel „Beziehungsreichtum. Die Diaspora der Kirche als gemeinsame Aufgabe.“ Die kleine Gemeinde in Bijeljina wird – rein rechnerisch betrachtet – kaum eine eigenständige Zukunft haben. Doch durch Beziehungen und das Verständnis gemeinsamer Verantwortung kann dennoch an dieser Zukunft gearbeitet werden – kreativ und produktiv.

Deshalb laden wir herzlich ein, diese einzigartige „Außenstelle“ der GEKE-Kirchen in Gebet und Nachdenken einzubeziehen.

SC

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When one hears the names “Bosnia” and “Herzegovina”, many associations come to mind: the Ottoman past, the assassination of the Austrian crown prince, or the civil war following the breakup of Yugoslavia. What likely does not come to mind is Protestantism.

In fact, one must make a deliberate effort today to find traces of Protestantism in Bosnia and Herzegovina. Yet they do exist—on three levels: history provides several clues, a few church buildings have survived, and most remarkably, a small Lutheran congregation in the city of Bijeljina still gathers for worship. Dr. Stefan Cosoroaba undertook this search for the CPCE, accompanied by the Transylvanian pastor Zoran Kezdi, representing ZETO.

History

Documented Protestant history in Bosnia and Herzegovina begins in 1878, when the territory came under the administration of the Austro-Hungarian monarchy. In the years that followed, many new settlers arrived—among them a significant number of Germans, the majority of whom were Lutherans. By 1910, 22,968 individuals identified German as their mother tongue. But it was not only Germans who settled in Bosnia; Hungarians, Slovaks, and Croats also came—among them both Lutherans and Reformed Christians. Particularly noteworthy is the fact that, prior to the outbreak of World War I, around 10% of Sarajevo’s population used German as a common language. German-language schools, newspapers, and even a theatre existed. During this period, Protestant churches were established in Banja Luka, Rudolfstal (now Alexandrovac), Schutzberg (Podgradci), Franz-Josefsfeld (Petrovopolje), Sarajevo, and Zavidovići. Pastors were appointed for these congregations, and a structure known as the “Bosnian Synod” was formed.

However, the familiar storms of history swept across the land: World War I, integration into a new state, World War II, resettlement, flight, internment, communist dictatorship—and finally, the Yugoslav civil war. Throughout all these upheavals, Protestant congregations repeatedly reorganized themselves. As late as 1981, Lutheran congregations still existed in Sarajevo, Banja Luka, Zavidovići, and Bijeljina. In 1997, Zlatan Sofo—the long-time caretaker of the congregation’s building in Sarajevo, and the last person to conduct Lutheran worship services there—passed away.

Buildings

The physical signs of Protestant presence in Bosnia and Herzegovina today are a few former Evangelical churches that still stand. The most impressive of these is the former Lutheran church in Sarajevo, built in 1899 along the banks of the Miljacka River. Renovated in 1954 with the help of the Lutheran World Federation, the building was transferred to city ownership in 1979 and now houses Sarajevo’s Academy of Fine Arts.

In Banja Luka, the Evangelical church was built in 1898 was destroyed in 1945. However, the parsonage and chapel were preserved and carefully restored; today, they house the city’s Institute for Economics and Development. The church in Petrovopolje, built in 1910, was repurposed as a barn after World War II and eventually abandoned. Today, a local initiative is working to save the now-listed cultural monument and repurpose it for cultural and community events. However, no concrete implementation plan exists yet.

The Present

Today, living Protestant witness is found only in the small Lutheran congregation in Bijeljina. A daughter congregation of the parish in Šid (Serbia), it belongs to the Slovak Evangelical Church of the Augsburg Confession in Serbia. The congregation consists of about 80 members who identify with the Slovak tradition, even though almost all now speak only Serbian. Most members live in interethnic and interconfessional marriages and are of advanced age. The younger generation has mostly been baptized in the Orthodox Church. The parish in Šid, to which Bijeljina belongs, is currently vacant. As a result, worship services are held only three times a year—at Christmas, Easter, and the church’s annual celebration. Administrative oversight is provided from Stara Pazova (Serbia) by Igor Feldi, the senior pastor for Syrmia, who is also responsible for Bijeljina. However, worship services and ceremonies such as funerals are led by Pastor Svetlana Vojnici Feldi—the senior’s wife—who serves as a pastor in the Evangelical Lutheran Church in Croatia. For every service, she travels over 200 kilometers—a cross-border ministry in the truest sense of the word.

One of the small congregation’s most remarkable achievements is the construction of its own church, made possible under the leadership of church elder Daniel Steffek. Gratitude is owed especially to Slovak diplomat Miroslav Lajčák, who served as High Representative for Bosnia and Herzegovina from 2007 to 2009. He provided financial support and helped to clear bureaucratic paths. In the Balkans, church construction is considered a good and virtuous work—so many individuals and businesses, including Orthodox and Muslim donors, contributed to the effort.

The Future

God’s Word is promised to endure forever—so we may trust that evangelical preaching will continue in Bosnia and Herzegovina. Across the country, free evangelical congregations are forming, and new church plants are being attempted. Examples include the “Evanđeoska crkva Sarajevo” (ecsarajevo.org) and the international congregation “New City Sarajevo” (newcitysarajevo.com). To what extent these communities fit into the Leuenberg tradition—or even aim to do so—remains an open question.

This is precisely why attention must continue to be directed toward the small Lutheran congregation in Bijeljina when considering the future of Protestant life in Bosnia and Herzegovina. In 2012, the CPCE resolved at its General Assembly in Basel to engage more deeply with a theology of diaspora. As stated in Focus issue no. 30, the goal is to “tackle challenges productively and creatively, even as a church is turning into a minority.” The publication is titled “Rich Relationships. The Joint Task of the Church as Diaspora”.

From a purely statistical point of view, the congregation in Bijeljina has little chance of a self-standing future. Yet through relationships and the understanding of joint task, this future can still be shaped—creatively and productively.

We therefore warmly invite you to include this unique “outpost” of the CPCE churches in your prayers and reflections.

SC